Erteilung von Einzelvertretungsbefugnis und Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB an Geschäftsführer; Fortdauer der Befugnis/Befreiung nach Abschaffung der Satzungsgrundlage (2024)

GmbHG §§ 35, 53, 54, 10 Abs. 1 S. 2; BGB § 181
Erteilung von Einzelvertretungsbefugnis und Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB an Geschäftsführer; Fortdauer der Befugnis/Befreiung nach Abschaffung der Satzungsgrundlage

I. Sachverhalt
1. Var:Ein Geschäftsführer wurde unmittelbar in der Satzung von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.

2. Var.:Ein Geschäftsführer wurde durch einfachen Gesellschafterbeschluss auf Grundlage einer Satzungsermächtigung von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.
3. Var.:Einem Geschäftsführer wurde durch einfachen Gesellschafterbeschluss auf Grundlage einer Satzungsermächtigung Einzelvertretungsbefugnis erteilt.

Die jeweilige Satzungsgrundlage wird durch Satzungsänderungsbeschluss aufgehoben und die Satzungsänderung wird im Handelsregister eingetragen. Weiter geschieht nichts.

II. Frage
Besteht die Befreiung von § 181 BGB bzw. die Einzelvertretungsbefugnis fort?

Der Notar verweist in diesem Zusammenhang auf die Antscheidung des AG Düsseldorf, Beschl. v. 18.2.2021 – 88 AR 3208/20 (BeckRS 2021, 17058).

III. Zur Rechtslage
1. Allgemeines
Gem. § 35 Abs. 2 S. 1 GmbHG bedarf jede Abweichung von der Gesamtvertretungsbefugnis der GmbH-Geschäftsführer einer Satzungsgrundlage (vgl. auch MünchKommGmbHG/Stephan/Tieves, 4. Aufl. 2023, § 35 Rn. 139); ebenso sieht es die Rechtsprechung im Hinblick auf die generelle Befreiung eines Geschäftsführers von den Beschränkungen des § 181 BGB (s. etwa OLG Nürnberg NJW-RR 2015, 1073 Rn. 10; vgl. auch – krit. – Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 37 Rn. 66; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 21. Aufl. 2023, § 35 Rn. 52 – jew. m. w. N.; zur Befreiung des Alleingesellschaftergeschäftsführers s. noch § 35 Abs. 3 GmbHG; hier soll selbst bei der Einzelfallbefreiung eine Satzungsgrundlage erforderlich sein, vgl. BGH DStR 2000, 697 m. Anm. Goette). In beiden Fällen genügt eine Satzungsgrundlage, etwa eine Öffnungsklausel, die die Gesellschafterversammlung ermächtigt, das eine oder andere auszusprechen (zur Erteilung von Einzelvertretungsbefugnis: BGH NJW 1975, 1741; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, § 35 Rn. 37; zur Befreiung: OLG Nürnberg NJW-RR 2015, 1073 Rn. 10; Heckschen/Heidinger/Blath, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 5. Aufl. 2023, Kap. 6 Rn. 510). Freilich kann die Satzung Einzelvertretungsbefugnis oder Befreiung von § 181 BGB auch von vornherein für alle Geschäftsführer oder unmittelbar personenbezogen für einzelne aussprechen (wie hier in Var. 1; vgl. BeckOGK-GmbHG/Bayer/J. Schmidt, Std.: 15.3.2024, § 35 Rn. 145; Heckschen/Heidinger/Blath, Kap. 6 Rn. 510). Als echte Satzungsbestimmung begegnet die personenbezogene Befreiung zwar seltener, sie ist als solche aber durchaus möglich (zur Einordnung der Befreiung im Musterprotokoll als echte Satzungsbestimmung s. noch Herrler, GmbHR 2010, 960, 964; Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 383).

2. Folge einer Abschaffung der Satzungsgrundlage
Unseres Erachtens dürfte zwischen der Abschaffung einer Öffnungsklausel und einer unmittelbar personenbezogenen Vertretungs-/Befreiungsregelung zu differenzieren sein.

a) Öffnungsklausel
Wird die statutarische Möglichkeit, Geschäftsführern Einzelvertretungsbefugnis oder Befreiung von § 181 BGB zu erteilen, durch Satzungsänderung (§§ 53, 54 GmbHG) wieder abgeschafft, so wirkt sich dies u. E. nicht automatisch auf die einem Geschäftsführer konkret erteilte Befugnis aus. Beseitigt wird allein die Möglichkeit, künftige Geschäftsführer mit dieser Befugnis auszustatten. Die Satzungsänderung richtet sich also genau betrachtet gar nicht gegen die erteilte Einzelvertretungsbefugnis oder Befreiung. Anderes würde nur gelten, wenn die Satzungsänderung zugleich als konkludente Entziehung der erteilten Befugnis auszulegen wäre. Dies lässt sich der bloßen Abschaffung der Satzungsgrundlage aber nicht ohne Weiteres entnehmen.

Die Fortgeltung der Einzelvertretungsbefugnis/Befreiung steht auch nicht im Widerspruch zur Handelsregistereintragung (vgl. § 10 Abs. 1 S. 2 GmbHG): Als Teil der abstrakten Vertretungsregelung wird nämlich die bloße Öffnungsklausel (Ermächtigung der Gesellschafterversammlung o. Ä.) nicht eingetragen, lediglich die konkret erteilte Befugnis (OLG Frankfurt NJW-RR 1994, 165; Krafka, Registerrecht, 12. Aufl. 2024, Rn. 952). Der abstrakten Vertretungsregelung im Handelsregister sollte demnach gar nichts darüber zu entnehmen sein, ob Geschäftsführer aufgrund einer Satzungsermächtigung Einzelvertretungsbefugnis oder Befreiung erlangen können.

Die genannte Entscheidung des AG Düsseldorf (BeckRS 2021, 17058; bestätigt im Nachgang durch OLG Düsseldorf NZG 2021, 1027) ist u. E. zu knapp, um tragfähige Aussagen zu liefern. Rn. 7 der Entscheidung („Der Wegfall der Möglichkeit einer Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB in einer normalen GmbH-Satzung infolge Satzungsänderung führt ja auch zu einer Änderung der besonderen Vertretungsbefugnis eines Geschäftsführers, dem unter der alten Satzung die Befreiung zugesprochen worden war.“) steht der vorliegend geäußerten Ansicht aber prima facie entgegen. Sollte tatsächlich gemeint sein, dass die Abschaffung der Öffnungsklausel eine konkret erteilte Befreiung beseitigt, so halten wir dies für falsch. Zu bedenken ist, dass die in Bezug genommene Kommentierung von Fastrich (in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 2 Rn. 59 f.) die Befreiung im Musterprotokoll betrifft und die Ansicht aufgreift, dass diese Befreiung bei Bestellung weiterer Geschäftsführer entfällt (OLG Stuttgart NZG 2009, 754, 755; OLG Nürnberg DNotI-Report 2015, 133). Möglicherweise wird hier schlicht eine Aussage zum Musterprotokoll in fragwürdiger Weise pauschalisiert (wobei man bereits die Entscheidungen zum Wegfall der Befreiung des ersten Musterprotokoll-Geschäftsführers kritisch hinterfragen kann, vgl. Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 402, 403; BeckOK-GmbHG/C. Jaeger, Std.: 1.2.2024, § 2 Rn. 76).

b) Unmittelbar personenbezogene Befreiung
Erhält der Geschäftsführer Einzelvertretungsbefugnis oder Befreiung aufgrund einer echten Satzungsbestimmung und wird diese Bestimmung nachträglich aufgehoben, so ist die Angelegenheit u. E. anders zu beurteilen: Hier richtet sich die Satzungsänderung auf die Bestimmung selbst, die die Befugnis verleiht. Diese Bestimmung bietet nicht lediglich die Grundlage für die Verleihung der Befugnis, sondern trägt die Befugnis in sich. Insofern liegt es u. E. nahe, dass eine Aufhebung der Satzungsbestimmung auch eine Aufhebung der Befugnis mit sich bringt.

Das dürfte ebenso bei einer nicht unmittelbar personenbezogenen Befugnis der Fall sein. Denn auch eine Bestimmung, wonach etwa sämtliche Geschäftsführer der GmbH einzelvertretungsberechtigt und befreit sind, ist zugleich der Geltungsgrund ebendieser Befugnisse. Wenn sie aufgehoben wird, dürfte wieder die gesetzliche Grundregel wirksam sein.

3. Fazit
Eine aufgrund statutarischer Öffnungsklausel erteilte Einzelvertretungsbefugnis oder Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB gilt u. E. auch dann fort, wenn die Öffnungsklausel durch Satzungsänderung wieder abgeschafft wird. Hingegen dürfte eine Vertretungsbefugnis oder Befreiung hinfällig sein, wenn sie unmittelbar Gegenstand einer generellen oder personenbezogenen Satzungsklausel ist und diese aufgehoben wird.

Gutachten/Abruf-Nr:

203561

Erscheinungsdatum:

24.06.2024

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

GmbH
In-sich-Geschäft

Erschienen in:

DNotI-Report 2024, 92-94

Normen in Titel:

GmbHG § 10 Abs. 1; GmbHG § 53; GmbHG § 35; GmbHG § 54; BGB § 181

Erteilung von Einzelvertretungsbefugnis und Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB an Geschäftsführer; Fortdauer der Befugnis/Befreiung nach Abschaffung der Satzungsgrundlage (2024)

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